Das älteste Gewerbe der Welt?
„Ist nicht irgendwie jeder ein Coach?“, fragt Jan Böhmermann in seiner Sendung ZDF Magazin Royale vom 24.2.2023. Wer sie noch nicht gesehen hat, dem sei sie wärmstens empfohlen.
Hier kann man das Energiebündel Böhmermann in Höchstform erleben. Dargeboten wird eine temporeiche Mischung aus investigativem Journalismus und Persiflage. Im Visier sind eine Reihe meist junger Männer, die dieser Tage mit schrillen Botschaften („110-prozentige Erfolgsgarantie!“) und unfreiwillig komischen Empfehlungen („Geh dein Ding!“) im Internet von sich reden machen. Es handelt sich um Vertreter der deutschen „Get-Rich-Quick“-Szene. In unzähligen Werbefilmchen, z.B. auf YouTube, wird ein Betrugsschema als „Geschäftsmodell“ propagiert: Es winken tausende von Euro in nur wenigen Tagen, ganz „ohne Arbeit“.
Dahinter steht offenbar ein sogenanntes Schneeballsystem, bei dem es darum geht, möglichst viele Personen zur Unterschrift unter einen Knebelvertrag zu bewegen und zur Zahlung einer Summe in vierstelliger Höhe, als „Startkapital“. Hinter diesem System wiederum steht offenbar ein dubioser Finanzdienstleister … die Staatsanwaltschaft hat mit den Ermittlungen begonnen.
Böhmermann versteht es meisterhaft zu entlarven: die Mechanismen der Betrugsmasche, die menschenverachtende Haltung der Jungmänner und die Peinlichkeiten eines pseudo-professionellen Sprachgebrauchs der selbsternannten „Business Coaches“. Eines jedoch vergisst Böhmermann zu erwähnen: Bei dieser Betrugsmasche geht es gar nicht ums Coaching und schon gar nicht ums Business Coaching. Was hier verkauft wird, ist eher eine penetrante Vertriebstechnik, die gleichermaßen auf die Dummheit von Tätern und Opfer setzt. Und der Rat der sogenannten Coaches besteht darin, diese Technik möglichst blind und skrupellos einzusetzen, dann würde das Geld schon fließen.
Coaching ist aber eben nicht, wie Böhmermann behauptet, „das älteste Gewerbe der Welt“, – diesen Titel nimmt meines Wissens noch immer eine ganz andere Dienstleistung für sich in Anspruch. Coaching ist vielmehr eine reflexive Form der Beratung, die in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts an Beliebtheit gewonnen und sich heute zu einem wichtigen Bestandteil vieler erfolgreicher Organisationen entwickelt hat.
Wahr ist aber auch, dass die junge Profession Coaching noch einen weiten Weg vor sich hat. Zahlreiche Berufsverbände haben sich der Professionalisierung des Berufsbildes Coach verschrieben. Im Dachverband dieser Coachingverbände, dem Roundtable Coaching e.V. (RTC), werden Qualitätsstandards für professionelles Coaching entwickelt. Sie gelten für alle Mitglieder des RTC verbindlich. Ihr Einhalten unterliegt einer strengen Qualitätskontrolle durch den RTC.
Mit seinem Beitrag erweist Böhmermann der Coaching-Branche einen Bärendienst. Der ohnehin bis zur Unkenntlichkeit verwässerte Coaching-Begriff gerät einmal mehr in die Nähe betrügerischer Machenschaften. Bleibt nur zu hoffen, dass das Allround-Talent Jan Böhmermann einen qualifizierten Coach an seiner Seite hat, der ihm hilft, die Auswirkungen seiner redaktionellen Entscheidungen zu reflektieren.